Dankesrede zum James Krüss-Preis 2024
Sich verkaufen? Um keinen Preis!
Worüber wird einer heute wohl sprechen? Einer, dem man Zeit und Gelegenheit schenkt, vor versammelter Mannschaft loszuwerden, was man schon immer mal loswerden wollte.
In Zeiten wie diesen?
Ich verrate es gleich: Kann ja nur eins sein – alles ist schön!
Schwer zu glauben?
Man könnte es sich auch leichter machen, das stimmt. KI, Kriege, Krisen der Politik und Demokratie, Klimakipppunkte – man kann ja nicht behaupten, dass gerade nichts los wäre. Ich habe ein bisschen rumgefragt in den letzten Wochen, um mal abzuklopfen, was Menschen, die mir Nahe stehen, von mir an dieser Stelle erwarten. So unterschiedlich die Antworten auch ausgefallen sind, es war niemand spontan dafür, mit großem Optimismus hausieren zu gehen.
Heißt es vielleicht besser: Fast alles ist schön?
Selbst das kauft mir vermutlich niemand ab. In Zeiten wie diesen …
Ich habe zu den dringlichen, nachrichtenrelevanten Themen von heute natürlich auch eine Meinung, wie wir alle, aber ich habe zugleich erschreckend wenig Ahnung. Und ich gehöre ja zu den großen Anhängern der Faustregel: „Einer sollte am besten immer darüber sprechen, womit er sich auskennt.“ Besonders dann, wenn einer loswerden darf, was er schon immer mal loswerden wollte. Leider eine nicht so bekannte Faustregel, stelle ich immer wieder fest. Wirklich schade. Würden sich mehr Menschen nämlich daran halten, wäre schon viel gewonnen. Alles wäre noch schöner.
Womit ich mich auskenne?
Ich bin Berufsschriftsteller. Ich denke mir zum Beispiel Geschichten aus und schreibe Gedichte, ich tingele aber auch viel durch die Gegend, um für meine Bücher zu trommeln. Ich kenne mich mit Zugreisen, speziell mit Fahrten in ICEs aus. (An dieser Stelle könnten wir jetzt alle einmal den Anfang von Henriette Bimmelbahn summen …)
Mit der Bahn fahre ich von Stadt zu Stadt. Ich habe Land auf, Land ab auf diese Weise eine Menge Schulen in den letzten Jahren kennengelernt. Teil meiner Jobbeschreibung ist die Begegnung mit jungem Publikum. Ich sitze deshalb oft vor einer oder mehreren Klassen, manchmal auch vor ganzen, wenn nicht sogar vor mehreren Jahrgangsstufen. Das Format heißt dann Lesung mit Gespräch. Gespräch ist ein großes Wort für dieses sehr schlichte Frage-und-Antwort-Spiel.
Was der Nachwuchs so von mir wissen will? Kann ich gerne verraten. Tue ich auch sofort. Aber erst mal verrate ich, was ich nie gefragt werde:
Was treiben Sie überhaupt hier? Schämen Sie sich nicht dafür, was Ihre Generation mit diesem Planeten angerichtet hat?
Ist es Ihnen gar nicht peinlich, Geschichten und Gedichte zu schreiben, während es an allen Ecken der Welt brennt, die Leute sich überall die Köpfe einschlagen und alles vor die Hunde zu gehen scheint?
Die jungen Menschen, denen ich begegne, würden das nie fragen.
Das scheint ganz beruhigend.
Vielleicht aber auch nicht? Ich bin mir da manchmal unschlüssig. Warum sind immer alle so brav? Ich jedenfalls erlebe die meisten jungen Menschen als ausgesprochen höflich mir gegenüber. Weshalb sie höflicherweise auch oft Fragen stellen, die auf der Hand liegen.
Lieblingsbücher?
Vorbilder?
Wie viel Geld verdient ein Schriftsteller denn so im Jahr?
Man entwickelt im Laufe der Jahre Strategien und Routinen, darauf zu reagieren. Mal launig, mal ehrlich, mal mehr oder weniger gewitzt. Es gibt da inzwischen ein größeres Repertoire an Standards, auf das ich zurückgreifen kann, ich habe mehrere brauchbare Antworten in petto, damit es auch für mich nicht zu langweilig wird.
Ich erzähle das alles, weil es eine Frage gibt, mit der ich mich lange schwergetan habe.
Ich schätze, sie ist nicht nur für mich die gefürchtetste.
Nein, es ist nicht die Frage, warum ich für ein junges Publikum schreibe. Denn das tue ich gar nicht, aber je älter ich werde, desto länger geistern die Erinnerungen an die Jugend mir durch den Kopf – das kommt mir bei dem, was ich tue, offensichtlich zugute. Es ist auch nicht die Frage, wie man auf seine Ideen kommt. Denn die Ideen kommen von ganz allein zu einem, wenn sie merken, sie sind willkommen.
Es ist tatsächlich die Frage, warum wieso weshalb bin ich Schriftsteller geworden.
Warum habe ich seit Teenagertagen davon geträumt (spätestens seit ich 1990 den Film „Club der toten Dichter“ im Kino gesehen habe)? Warum habe ich nach dem Studium (ungefähr seit 1999 dann) 15 Jahre lang als Autodidakt stur dieses Ziel verfolgt? Warum mich vor zehn Jahren dann tatsächlich selbständig gemacht?
Ich wusste es lange nicht, wirklich nicht. Ich konnte es zumindest nicht artikulieren. Manchmal habe ich etwas genuschelt von wegen: „… wenn man ein ruhiger Mensch ist, so wie ich, zumindest nach außen hin, droht das Innere vermutlich leicht überzukochen, sofern man keinen Weg findet, Dampf abzulassen.“
Ich habe manchmal auch etwas von dem Wunsch nach einem abenteuerlichen Leben außerhalb der bürgerlichen Norm gefaselt und meiner Angst vorm Erwachsenwerden als junger Mensch, von einem inneren Antrieb, den man braucht, von dem Wunsch, ein paar Spuren auf der Welt hinterlassen zu wollen. Diese Schoten.
Nicht ganz falsch – das nicht, aber wie das so ist: Oft eignet man sich einfach ein paar aufgeschnappte Phrasen an, behilft sich mit ihnen, weil sie halbwegs plausibel erscheinen, weil man zum Kern noch nicht vorgedrungen ist. Mittlerweile allerdings meine ich eine Ahnung zu haben, wie sich die Frage, warum ich Schriftsteller geworden bin, besser beantworten lässt.
(Um große Literaturpreise zu gewinnen – natürlich. Ha, ha.)
Wie ich die Sache vor Schulklassen kurz und knackig zum Besten geben kann, habe ich für mich bislang nicht vollständig gelöst.
Ich kanns ja hier mal vom Blatt versuchen.
Das wird jetzt ein bisschen dauern …
Und könnte mit der Geschichte losgehen, wie Richard Brautigan, eins meiner künstlerischen Vorbilder, eines Abends an der Tür eines Fremden klingelt. Brautigan ist auf der Durchreise, hat in der örtlichen Buchhandlung kurz zuvor in einer Lyrikanthologie geblättert und ihm ist aufgefallen, dass einer der jungen Dichter in dem Städtchen wohnt, in dem Brautigan beim Trampen gestrandet ist, praktisch ohne Geld in der Tasche. Mit Hilfe eines Telefonbuchs macht er die Adresse ausfindig. Brautigan, der sich ebenfalls an ersten literarischen Texten versucht hat und darauf hofft, mit einem Leben als Künstler der Vergangenheit in Armut zu entkommen, bittet um eine Bleibe für die Nacht. (Und sie wird ihm gewährt.)
Kürzlich erst hat mir ein Freund etwas ganz Ähnliches erzählt. Als er, ein Amerikaner, der in der Ukraine geboren wurde, das erste Mal nach Paris reist, ist er noch ein Teenager von gerade mal 17 Jahren. Sasha, heiß er. Auch er hat nicht viel Geld, auch er fühlt sich von der Welt der Literatur angezogen und landet deshalb bald wenig zufällig in der berühmten Buchhandlung Shakespeare & Company. Im Dezember 1993, als Inhaber George Whitman seinen 80. Geburtstag feiert. Whitman verfügt über einige Schlafplätze für vor allem nicht etablierte Schriftsteller, die im Gegenzug für ein paar Stunden im Buchladen aushelfen. Sasha verlebt ein paar unvergessliche Tage dort in Paris, zwischen Büchern und Künstlern. Er zieht mit dem Wunsch und Ziel weiter, dass auch seine noch ungeschriebenen Werke später in dieser Buchhandlung stehen mögen.
Wozu diese beiden Anekdoten?
Für mich drückt sich in ihnen diese Sehnsucht aus, die ich als junger Mensch auch gekannt habe. Bereits als ich noch kaum eine Zeile geschrieben hatte, war da dieser Wunsch nach Zugehörigkeit. Ich wollte Gleichgesinnte treffen. Ich wollte von ihnen erkannt werden. Ich wollte in ihre Gemeinschaft aufgenommen werden. Mit anderen Worten: Ich wollte wissen, wo ich hingehöre. Präziser: Ich wollte herausfinden, ob ich zu denen gehöre, zu denen ich dazugehören wollte.
Habe ich gefunden, was ich gesucht habe?
Fest steht: Auf dem Weg wurden oft die richtigen Türen geöffnet. Zur richtigen Zeit, von den richtigen Menschen. Schicksalhafte Begegnungen, nennt man das dann. Ich hätte da vor allem diese eine im Angebot:
Auf der letzten Etappe meines ersten Studiums bin ich Max Reinhold begegnet. In einer staubigen Boxsporthalle in Berlin-Mitte. Ich bin damals 23 Jahre alt, er ist 28. Ihn treiben ähnliche Sehnsüchte an und um wie mich. Wir wollen eine abenteuerliche Künstlerexistenz, eine Arbeit, die echte Aufgabe ist statt bloß schnöde Erwerbstätigkeit. Wir wollen uns später nicht wie bei unseren Studentenjobs gegen Geld von Vorgesetzten herumschubsen lassen. Wir erwarten mehr vom Leben. Wir sind bereits, etwas dafür zu tun. Die Boxhandschuhe streifen wir allerdings bald wieder ab. Max bleibt Sparrings-Partner, wir werden ein Literaten-Duo, schreiben zusammen Texte, holen uns bei den ersten Schritten in der Kulturindustrie einige Beulen ab, machen trotzdem weiter, haben gemeinsame Auftritte, erleben schließlich eine beglückende und gefeierte Uraufführung unseres Theaterstücks „Revolution“ in Basel. Herr Reinhold schreibt mit mir später übrigens auch das Drehbuch zur Verfilmung meines Romans „Es war einmal Indianerland“. Vor allem aber schult er mich am Anfang in Fragen des literarischen Stils. Über Jahre geht er mit mir meine Texte durch, streicht und redigiert, macht sie besser. Auch dann noch, als er seinen Lebensmittelpunkt in die USA verlagert hat. Ein Schritt, der sicherlich auch mit ausbleibenden Erfolgen als Schriftsteller zu tun hat.
Denn bei aller Romantisiererei, die ich hier gerade betreibe: Die literarische Welt funktioniert nicht entkoppelt von der Wirklichkeit. Es gibt Wettbewerb. Und auch der übt eine enorme Anziehungskraft aus. Da muss man sich nichts vormachen. Es ist das vielleicht größte Glück, sich bei Ausübung des Handwerks im Tun zu verlieren. Nichts liebe ich mehr an meinem Leben als Schriftsteller. Nicht schlägt dieses Gefühl des Gelingens beim Werkeln an Texten. Aber es ist leider auch sehr geil, hinterher dafür belohnt zu werden. Anerkennung fügt dem Gefühl von Zugehörigkeit zur Welt des Wahren, Guten, Schönen noch einmal eine besondere, eine vielleicht bittersüße Komponente hinzu. Denn die Erfolgreichen dürfen nicht nur dabei sein, sie erleben eine berauschende Form von spezieller Zuneigung. Mit dem Erfolg wächst die Aufmerksamkeit, die sich durchaus genießen lässt.
Ich habe davon zweifellos mehr bekommen als die allermeisten.
Nicht von allein. Nicht über Nacht. Nicht ohne Leistung.
Was für mich früh klar schien, war das selbst gewählte Programm. Ich war der festen Überzeugung ein Künstler muss sich bemühen, anders zu sein. Ich mochte immer die, die nirgends hinpassen. Oder nicht so richtig. Ich habe die bewundert, die trotz Widerstände es gewagt haben, etwas zu wagen.
Vielleicht zu sehr?
Hier wiederum könnte man prima auf Krüss’ Timm Thaler kommen: Um keinen Preis darf man sich verkaufen – das lernen wir durch die Geschichte vom verkauften Lachen. Das hat Eindruck auf mich gemacht, als ich als Kind davon gehört habe. Das ist geblieben.
Ob ich so konsequent unbestechlich bin, wie ich es immer gerne geworden wäre, wage ich zu bezweifeln. Es kann auch helfen, chancenklug zu sein. Allerdings würde ich für mich schon in Anspruch nehmen, nicht immer unbedingt den bequemsten Weg zu wählen.
Stand heute scheint die Strategie ganz gut aufgegangen zu sein. Sichtbar sind in der Regel schließlich nur die Erfolge. Die gescheiterten Projekte, die Zurückweisungen, die Momente, in denen die Hilfe ausgeblieben ist, in denen es Absagen und Enttäuschung gab – das alles findet ja meist unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
Selbst im Erfolg ist nicht immer alles leicht, aber manchmal wird es leichter, die eigenen Ideen durchzusetzen. Erfolg erlaubt das Weitermachen, setzt Kräfte frei. Ohne geht es vermutlich gar nicht. Und der wirklich große Erfolg kam in meinem Fall mit einem Roman.
Er handelt vom Erwachsenwerden und machte mich zum Jugendbuchautor. Damit gehörte ich plötzlich … nicht mehr dazu.
A) Nicht mehr zu den Verkannten – das war schön.
Aber B) auch nicht mehr zu den „echten Schriftstellern“, die „richtige Literatur“ schreiben. Das war weniger schön. Ein bisschen so, als wenn man als Schwimmer vom Bademeister aus dem großen Becken geangelt wird, um mit stummer Geste Richtung kleinem Becken geschickt zu werden. Trotz Freischwimmerabzeichen! Nein, weil nein …
An dieser Stelle ließe sich gut die Abfahrt zur ewigen Leier nehmen. Mit einer naheliegenden Anschlussfrage nämlich, die da lauten können: Wo gehören wir denn hin, wir Autoren der so genannten Kinder- und Jugendliteratur?
In der Akademie für Sprache und Dichtung gibt es fast keine von uns. Auf den großen Festivals dürfen wir an den Katzentischen sitzen. In den Literaturhäusern am Vormittag vorbeischauen. In den Buchhandlungen sortiert man uns in die Nische weg. Auch interessant: In den aktuellen öffentlichen Debatten werden hin und wieder ja schreibende Intellektuelle nach ihrer Meinung befragt, selten aber kommen Redaktionen mal auf den Gedanken, das auch wir dazugehören könnten – selbst bei den brisanten Themen wie Schule und Bildung nicht. Außerdem erwähnenswert: Bei Honoraren müssen wir uns in der Regel mit rund einem bis zwei Drittel weniger begnügen als die Kolleginnen und Kollegen der Belletristik. Man muss deshalb schneller schreiben und liefern, meist leider auch viel, viel, viel schneller zum Beispiel als der Literaturfonds über Stipendien entscheiden kann.
An einem solchen Tag wirkt Gejammer ungnädig.
Aber was hier nach Gejammer klingt, will gar keins sein. Es hat gedauert, meinen Frieden mit der Sache zu machen. Aber ich weiß heute: Es kann durchaus von Vorteil sein, Teil einer marginalisierten Gruppe zu sein. Es stärkt die Widerstandsfähigkeit. Es schult den Blick auf Ungerechtigkeiten, macht manchmal sogar erfinderisch. Und noch etwas gefällt mir. Wir, die wir fast immer eine Art doppelköpfiges Publikum haben (Erwachsene und ihren Nachwuchs oder junge Erwachsene und ihre Ausbilder), leben mit etwas Glück nicht nur länger in unserem Publikum weiter, wir werden auch wirklich gebraucht.
Ich denke oft: Wir könnten und sollten unsere Talente ruhig etwas teurer verkaufen, cleverer sowieso. Nach Tom-Sawyer-Art – die Geschichte vom Tante Pollys Zaun, wer erinnert sich nicht? Als Tom seine Strafarbeit zu einem Ehrenjob umdeutet, weshalb am Ende lauter Kumpanen nicht lieber wollen, als eifrig mitzuhelfen.
Ehrlich: Man müsste doch eigentlich zu uns dazugehören wollen …
Wir sind mehr als nur Lockvögel. Wir sehen die Zukunft vor allen anderen. Und wir sind gewarnt. Denn die Zahl der Lesenden unter den Jungen wird schrumpfen. Auf natürliche Weise, weil schlicht weniger Menschen nachwachsen. Leider aber auch aus anderen Gründen. Der Analphabetismus nimmt zu, die Konzentrationsfähigkeit ab, der gesellschaftliche Zusammenhalt bröckelt.
Handelt Literatur nicht immer vom Abenteuer des Zusammenlebens?
Die Begeisterung für beides nimmt ab: Vereine verlieren mehr und mehr Mitglieder, die Kirchen werden immer leerer, wir alle sind inzwischen auf diversen Kanälen die einsamen Kuratoren und Konsumenten unseres eigenen Unterhaltungs- und Bildungsprogramms.
Ich glaube ja nicht, dass die Sehnsucht nach Zugehörigkeit verloren geht.
Im Gegenteil.
Menschen fühlen sich vielleicht mehr denn je bedroht durch die Gefahr des gesellschaftlichen Ausschlusses. Wohin das führt? (Nur mal so: Gerade sprechen wenige, wenn sie über Italien und Frankreich sprechen, als erstes über Urlaub.)
Noch ist hier bei uns ja alles ziemlich schön.
Immerhin kann ich behaupten: Nicht zuletzt dank der Literatur bin ich heute Abend nicht allein. Und war es in den letzten Jahren auch selten.
Für Karrieren reichen Leistungen nicht. Es braucht die Anderen. Es braucht Hilfe, um ans Ziel zu gelangen. Leute, die einem den Weg weisen. Lob. Räuberleitern. Finanzielle Unterstützung. Es braucht Publikum. Es braucht das Gefühl, gebraucht zu werden.
Ich habe das gehabt. Ich habe das.
Das war und ist alles wirklich schön! Auch deshalb, weil um uns herum eine Wirklichkeit tobt und tost, die uns viel zu oft in Richtung Hysterie driften lässt. Sei das nun begründet oder unbegründet: Es bleibt unser Job, mehr Menschen einzuladen, gerade auch die jungen, sich nach unserer Gemeinschaft zu sehnen, nach Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Literaturbegeisterten, der Kulturinteressierten. Mit einem Angebot, das besser ist als die Angebote um sie herum, die sie einsamer, die unglücklicher machen, die zerstörerisch sind.
Ich klinge gerade so, wie ich mir manchmal unterwegs vorkomme: Wie ein kauziger Wanderprediger einer seltsamen Sekte.
Wir brauchen aber tatsächlich das Erzählen. Wir brauchen die Poesie.
Das glaube ich nicht nur, das weiß ich. Ohne Geschichten keine Erinnerung, kein inneres Bild von uns selbst. Ohne Fantasie keine Chance auf eine Vorstellung von dem, was mal werden soll. Und wenn wir das nicht haben, lässt sich nicht handeln.
Was ich vor Schulklassen gerne erzähle: Wir haben als Lesende und Erzählende begonnen. Deshalb ist der Mensch vermutlich überhaupt so weit gekommen und noch da. Säbelzahntiger oder Hase? Wir waren und sind gut als Spurenleser, die entziffern gelernt haben, wo Gefahr lauert und wo Jagderfolg winkt. Wir waren und sind gut darin, davon zu erzählen, was wir aus den Spuren lesen. Das ist nützlich. Auch wenn ich ja finde, es darf, was wir tun, manchmal auch einfach nur wunderbar und auf zwecklose Art schön sein. Ein Spiel. Denn das ist die Kunst auch. Zum Glück.
Auf die Jungen wird enormer Druck weitergegeben von den Älteren.
Alles soll immer nützlich sein. Verwertbar. Ummünzbar in Bares. Möglichst schnell.
Die Rettung von allem kann ich leider nicht versprechen. Freund Max sind nach drei veröffentlichten Krimis eine Menge Türen vor der Nase zugehauen worden. Mein amerikanischer Freund Sasha hat nach dem Aufenthalt in Paris keine Karriere als Schriftsteller, sondern als Professor für russische Literatur gemacht und hofft auch mit fast 50 noch auf seine erste literarische Veröffentlichung. Und Richard Brautigan? Ist nach Jahren des großen internationalen Erfolgs sehr allein und sehr verzweifelt gestorben. Mit 49 schießt er sich in seinem Zuhause in Kalifornien eine Kugel durch den Kopf. Man entdeckt die Leiche erst einen Monat später.
Im Wettbewerb gibt es nicht nur die Siegenden. Und schon gar nicht die Unsterblichkeit. Aber damit wiederum gelangen wir in einen Bereich, in dem kennt sich niemand aus. Komme ich also … zum Schluss.
Wo gehöre ich heute hin?
Alle mit Ahnung wissen: Man kann auch im kleineren (nicht ganz so tiefen, übrigens aber immer viel wärmeren) Becken nicht nur planschen, sondern auch schwimmen.
Literatur ist Literatur.
Es gibt nur eine. Da kann ich mich nicht oft genug wiederholen.
Und Kunst im Geiste von Kindern und Jugendlichen ist Kunst.
Tendenziell könnte und dürfte sie ruhig noch kreativer und verspielter sein, aber auch unangepasster und rebellischer, als sie schon ist. Immer in Opposition gegenüber Autoritäten. Immer daran interessiert, Altes infrage zu stellen und Neues zu erproben.
Das würde mir gefallen.
Durch den James Krüss-Preis gehöre ich heute in eine Reihe mit illustren Namen, die für eine solche Kunst stehen. Das finde ich mehr als schön.
Und wir feiern das. Wir sind so frei. Noch erscheint uns das als Selbstverständlichkeit. Noch haben wir uns das Lächeln nicht nehmen lassen. Ist das nicht alles schön?
Wir werden gebraucht. Es wird Zugehörigkeit gebraucht. Tun wir etwas dafür, dass die Dummen in Zukunft so wenig Zulauf bekommen wie nur möglich, tun wir unser Bestes.
Ganz voller Dank steh ich heute hier vor euch. Ich danke dir, liebe Heidi Lexe, für deine wunderbare Laudatio und zugleich für die Freundschaft seit Jahren, die mir viel bedeutet und mir viele Male schon eine Bleibe in Wien beschert hat. Ich danke der James Krüss Erbengemeinschaft, der IJB und der Jury sowie allen, die zu diesem mir kostbaren Preis beigetragen haben.
Es sind so viele. Von meinen Schullehrern bis zum Forum Hamburger Autorinnen und Autoren bis zu Dr. I (Ines Galling), die mir ehemaligem weißen Raben diese Seiten vorhin noch schnell ausgedruckt hat. Von allen, die ich im Schreiben unterrichten durfte (wobei ich selbst wohl am meisten gelernt habe) bis zu Elisabeth Braune, deren Unterstützung und Rat mich als Autor in den letzten Jahren noch mal hat wachsen lassen. Oli Kemmann, der mich zum digitalen Autor und Kleinverleger gemacht hat, usw.
Ich kann nicht alle nennen. Aber ein paar dürfen nicht vergessen werden:
- Max!
- Christiane Steen von Rotfuchs, die mich zum Jugendbuchautor gemacht hat und mich eine ganze Stadtrandsaga hat schreiben lassen.
- Lena Frenzel und Sebastian Zembol von Mixtvision, die mir spät noch zum doppelten Lyrikdebüt verholfen haben und mir und meinen Außerirdischen Henny & Ponger ein Zuhause gegeben haben.
- Katrin Feiner von Tyrolia, die mir die große Symphonie zum 50. geschenkt hat – und mich seither bei meinen Außenseitervorlieben weiter unterstützt.
- Die Mairisch-Bande, die mich durchs ABC hat radeln lassen, um auch als Erzähler für kindertaugliche Geschichten mein Glück zu versuchen.
- Dorothee Dengel von dtv, die mich in ein ganz neues Abenteuer gestürzt hat, wovon man bald dann etwas hören wird.
- Und natürlich meine Familie: meine Eltern, meine Schwester, meine Schwiegereltern, meiner Frau und meinen Kindern: Anni, Finn, Minnie, Nike – es ist das Schönste, zu euch zu gehören!
(Fotos: Uli Störiko-Blume und Heidi Lexe)
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